“Wir machen uns unschuldiger als wir sind” lautet die Über­schrift eines Spiegel Online Artikels, den die Spiegel Redak­tion kür­zlich auf Face­book beworb. Visu­al­isiert wird der Artikel mit einem Stan­dard-Foto von Auss­chwitz. Der Artikel dreht sich um einen Wis­senschaftler namens Tim­o­thy Sny­der, der von Spiegel über den Holo­caust und andere Völk­er­morde inter­viewt wurde.

Lässt man die Über­sicht zusam­men mit dem Bild auf sich wirken, scheint man genau zu wis­sen, wie die Haup­taus­sage des Inter­views laut­en wird: “Die bösen Deutschen, büßen noch nicht genug für den Holo­caust. Auch noch 70 Jahre nach dem Ver­brechen haben sie gefäl­ligst reumütig um Entschuldigung zu bit­ten.” Und das, obwohl kaum noch ein Zeitzeuge, ein Opfer oder ein Täter am Leben ist.

Das war auch der Grund, weshalb sich viele sehr erboßt — oder zumin­d­est gen­ervt — unter dem Artikel zu Wort gemeldet haben:

“Ich bin unschuldig meine Eltern auch und viele grossel­tern auch aber wichtig immer schön auf Nazi Masche machen und fleißig Geld nach Jerusalem tra­gen damit sie neue Raketen gegen Gaza kaufen kön­nen” Timo Snoppek
Ich trage an den Zweit­en Weltkrieg nicht die ger­ing­ste Schuld. Folgedessen, füh­le ich mich auch nicht schuldig. Trotz alle­dem sollte der Holo­caust nicht in Vergessen­heit ger­at­en. Genau­so wenig, der Atom­bomben­ab­wurf auf Hiroshi­ma und Nagasa­ki von den USA oder den Völk­er­mord an den Arme­niern von den Türken. Und die vie­len anderen Ver­brechen andere Län­der an der Men­schheit.Andreas Kaiser
Wir machen “uns” nicht unschuldig. Wir sind unschuldig. Ich glaube nicht an irgendwelchen “Sün­den des Vaters”-Mist, son­dern hätte ganz gerne, dass jede Per­son für ihre eige­nen Tri­umphe, Fehlver­hal­ten, Ver­brechen und Erfolge be- und verurteilt wird.Max­i­m­il­ian Queren

All diese Leute, die sich über den Artikel aufre­gen, haben einen großen Fehler began­gen: Sie haben den Artikel nicht gele­sen. Im Artikel geht es im wesentlichen näm­lich nicht um den Holo­caust. Es geht auch nicht um “uns” Deutsche, son­dern um “uns” Men­schen. Wir machen uns laut Sny­der nicht deswe­gen “unschuldiger als wir sind” weil wir unsere etwaige Schuld bezüglich des Holo­causts abstre­it­en, son­dern weil wir so naiv sind und denken, dass heutzu­tage niemals wieder soet­was wie Völk­er­mord in unser­er Gesellschaft stat­tfind­en könne. Weil wir der Ansicht sind, dass sich die Men­schen inner­halb von 70 Jahren von Mon­stern in Unschuld­släm­mer mutiert sind. Um festzustellen, dass das Blödsinn ist, brauch man ja nur die Nachricht­en einschalten.

Aber es dreht sich im Artikel wed­er um den Holo­caust, noch um uns Deutsche. Die Spiegel Redak­tion möchte das aber genau mit so ein­er Über­schrift sug­gerieren. Wieso? Damit der Beitrag geteilt, kom­men­tiert und gek­lickt wird. Unab­hängig davon, ob jemand den Artikel gele­sen, geschweige denn ver­standen hat. Aufmerk­samkeit ist alles. Ein Armut­szeug­nis für unsere heuti­gen Medien.