„Wir machen uns unschuldiger als wir sind“ lautet die Überschrift eines Spiegel Online Artikels, den die Spiegel Redaktion kürzlich auf Facebook beworb. Visualisiert wird der Artikel mit einem Standard-Foto von Ausschwitz. Der Artikel dreht sich um einen Wissenschaftler namens Timothy Snyder, der von Spiegel über den Holocaust und andere Völkermorde interviewt wurde.
Lässt man die Übersicht zusammen mit dem Bild auf sich wirken, scheint man genau zu wissen, wie die Hauptaussage des Interviews lauten wird: „Die bösen Deutschen, büßen noch nicht genug für den Holocaust. Auch noch 70 Jahre nach dem Verbrechen haben sie gefälligst reumütig um Entschuldigung zu bitten.“ Und das, obwohl kaum noch ein Zeitzeuge, ein Opfer oder ein Täter am Leben ist.
Das war auch der Grund, weshalb sich viele sehr erboßt – oder zumindest genervt – unter dem Artikel zu Wort gemeldet haben:
All diese Leute, die sich über den Artikel aufregen, haben einen großen Fehler begangen: Sie haben den Artikel nicht gelesen. Im Artikel geht es im wesentlichen nämlich nicht um den Holocaust. Es geht auch nicht um „uns“ Deutsche, sondern um „uns“ Menschen. Wir machen uns laut Snyder nicht deswegen „unschuldiger als wir sind“ weil wir unsere etwaige Schuld bezüglich des Holocausts abstreiten, sondern weil wir so naiv sind und denken, dass heutzutage niemals wieder soetwas wie Völkermord in unserer Gesellschaft stattfinden könne. Weil wir der Ansicht sind, dass sich die Menschen innerhalb von 70 Jahren von Monstern in Unschuldslämmer mutiert sind. Um festzustellen, dass das Blödsinn ist, brauch man ja nur die Nachrichten einschalten.
Aber es dreht sich im Artikel weder um den Holocaust, noch um uns Deutsche. Die Spiegel Redaktion möchte das aber genau mit so einer Überschrift suggerieren. Wieso? Damit der Beitrag geteilt, kommentiert und geklickt wird. Unabhängig davon, ob jemand den Artikel gelesen, geschweige denn verstanden hat. Aufmerksamkeit ist alles. Ein Armutszeugnis für unsere heutigen Medien.
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