In den let­zten Jahren nehmen auch in Gam­ing-Com­mu­ni­ty die Boykot­taufrufe und Shit­storms gegen Unternehmen und teil­weise auch Pri­vat­per­so­n­en kon­tinuier­lich zu. Während sich die Gam­ing-Szene noch vor über zehn Jahren damit zufrieden gab, dass EA Games zum schlimm­sten Unternehmen der USA gekührt wor­den ist und man anson­sten höch­stens mal in den Foren oder Kom­men­tarspal­ten über die Unternehmen gemeck­ert hat, ist das vie­len Men­schen heute nicht mehr genug.

Ist die Kritik an den Unternehmen übertrieben?

Stattdessen wer­den heutzu­tage von zahlre­ichen Inter­es­sen­grup­pen monate­lang ganze Medi­enkam­pag­nen inklu­sive Boykot­taufrufe geführt. Und anders als damals richt­en sich diese Kam­pag­nen nicht nur gegen die Unternehmen, son­dern auch gegen alle, die sich dieser Kam­pagne nicht anschließen oder schlim­mer noch: Allen Boykot­taufrufen zum Trotz weit­er­hin die Pro­duk­te des Unternehmens kaufen.

Hier kön­nte jet­zt zunächst der Ein­druck entste­hen, dass das Ver­hal­ten der Kam­pag­nen­gruppe anders als noch vor 10 Jahren maß­los über­trieben und irra­tional ist. Man muss hier aber auch ganz klar sagen, dass sich die Gründe für die Kri­tik an den Unternehmen im Gam­ing-Bere­ich wesentlich geän­dert haben. Während vor einem Jahrzehnt die Haup­tkri­tikpunk­te in schlechtem Sup­port oder kun­de­nun­fre­undlichen Preis­mod­ellen lagen, geht es heutzu­tage um Sex­is­mus, Ras­sis­mus, Trans­feindlichkeit oder anderen schw­er­wiegen­den Ver­fehlun­gen und Straftat­en. Oder anders formuliert:

Vor 10 Jahren lag der Fokus der Kri­tik darauf, dass die Unternehmen mein Hob­by kaputt machen, heute liegt der Fokus der Kri­tik darauf, dass sie Men­schen kaputt machen.

Diese Kri­tikpunk­te sind natür­lich ein wesentlich wichtiger­er Grund, sich über die Fir­men­poli­tik aufzure­gen als ein Bat­tlepass oder Mikrotransaktionen.

Nestle Yfood Shitstorm

Problem 1: Wann ist etwas zu verurteilen?

Die Prob­leme gehen allerd­ings genau dort los, wo man ver­sucht zu erk­lären, welch­es Ver­hal­ten sex­is­tisch, ras­sis­tisch, trans­feindlich — kurz unmoralisch ist, und welch­es nicht. Frauen für die gle­iche Arbeit schlechter zu bezahlen, weil es eben Frauen sind, ist ver­mut­lich unstrit­tig sex­is­tisch. Wie sieht es allerd­ings aus, wenn Frauen und Män­ner für die gle­iche Arbeit das gle­iche Gehalt erhal­ten, die Führungspo­si­tio­nen aber nur zu 20% weib­lich beset­zt sind? Ist das struk­tureller Sex­is­mus? Muss sich das Unternehmen auch dann struk­turellen Sex­is­mus vor­w­er­fen lassen, wenn auf dem Arbeits­markt in dieser Branche ger­ade mal 10% aller Per­so­n­en weib­lich sind und das Unternehmen schon Mühe und Not hat­te, die 20% an weib­lichen Führungskräfte zu erreichen?

Sollte ich ein Unternehmen über­haupt für das Nichtein­hal­ten von Quoten verurteilen? Oder erst, wenn dort sex­uelle Über­grif­figkeit­en (Straftat­en!) an der Tage­sor­d­nung stehen?

Ein Unternehmen kann nicht nur ein Problem haben

Es gibt vielle­icht einige Unternehmen auf dem Markt, die Mustergültig im Bere­ich Sex­is­mus sind. Geschlechter-diverse Leitung, För­der­maß­nah­men, zahlre­iche Pro­jek­te zur Sen­si­bil­isierung von Mitar­bei­t­en­den. Jet­zt kön­nte man meinen, dass diese Unternehmen was mögliche Shit­storms bet­rifft, “aus dem Schnei­der” sind und man guten Gewis­sens Pro­duk­te dort kaufen kann.

Allerd­ings ist Sex­is­mus natür­lich nicht das einzige Prob­lem. Denn das Unternehmen kön­nte zwar im Bere­ich Sex­is­mus alles richtig machen, dafür aber Ras­sis­mus fördern, Beschäftigte unter schlecht­en Bedin­gun­gen arbeit­en lassen, Men­schen mit Behin­derung benachteili­gen oder Kon­tak­te zu anderen Konz­er­nen pfle­gen, die ihrer­seits grundle­gende Prob­leme besitzen. Let­zteres war übri­gens vor kurzem der Grund, weshalb viele Stream­erin­nen und Stream­er die Koop­er­a­tion mit Yfood aufgekündigt hat­ten, nach­dem Yfood von Nestlé aufgekauft wor­den war.

Antisemitismus Hogwarts

Auch vermeintliche Kleinigkeiten können für große Aufregung sorgen

Let­z­tendlich geht es aber häu­fig nicht nur um die großen, struk­turellen Prob­leme. Es eignen sich auch viele kleinere Hand­lun­gen inner­halb das Unternehmens dazu, in einem Teil der Öffentlichkeit für Aufre­gung zu sorgen.

  • Es gibt eine Wei­h­nachts­feier, aber kein Zuck­er­fest im Unternehmen? Das ist Diskriminierung!
  • Es gibt ein Zuck­er­fest im Unternehmen? Das ist der Unter­gang unser­er Kultur!
  • Zum Jahresab­schluss wer­den Sek­t­flaschen an die Beschäftigten ver­schenkt? Das ist eine Ver­harm­lo­sung von Drogen!
  • Zum Jahresab­schluss wer­den keine Sek­t­flaschen ver­schenkt (weil das ja eine Ver­harm­lo­sung von Dro­gen ist !!!) stattdessen gibts belegte Brötchen auf Kosten der Fir­ma. Sind die denn veg­an oder beteiligt ihr euch an der Abschlach­tung und Aus­beu­tung von unschuldigen Tieren?!

Denkt man mal darüber nach, wird man wohl in den meis­ten Unternehmen Geschäft­sprak­tiken find­en, die für viele auf die ein oder andere Weise nicht mit ethis­chen Grund­sätzen vere­in­bar sind. Dabei bewegt manch­es die Men­schen in den Sozialen Medi­en mehr (Sex­is­mus) als anderes (nicht veg­ane Brötchen).

Problem 2: Die Subjektivität der Wahrnehmung

Ist das Homophobie?Welche Wichtigkeit die einzel­nen The­men für einen haben, entschei­det dabei  jed­er selb­st. Auch welche Kon­se­quen­zen sich daraus ergeben soll­ten. Der eine hält Umweltschutz für so wichtig, dass er sich “aus Notwehr für den Umweltschutz” auf ein­er Auto­bahn fes­tk­lebt, die andere find­et genau dieses Vorge­hen so schlimm, dass sie von “Ter­ror­is­mus” spricht. Die sub­jek­tive Wahrnehmung spielt bei der Ein­schätzung, ob etwas moralisch oder unmoralisch  ist und auch welche Gegen­maß­nah­men angemessen sind, also eine große Bedeutung.

Problem 3: Die Radikalität einiger Ansichten

Selb­st wenn man bei sein­er Kri­tik einen gemein­samen Nen­ner find­et, zeigen ger­ade die Klimaprotes­tak­tio­nen der ver­gan­genen Monate, dass man dadurch nicht automa­tisch die gle­ichen Kon­se­quen­zen daraus zieht. Die einen hal­ten das Vorge­hen der Protes­tak­tio­nen der Let­zten Gen­er­a­tion für gerecht­fer­tigt, die anderen nicht. Und das obwohl vielle­icht bei­de Grup­pen die Kri­tik an der Poli­tik und Gesellschaft teilen. Ich halte diese diversen Ansicht­en für legit­im. Lei­der ist es jedoch so, dass heutzu­tage viele Inter­es­sen­grup­pen abwe­ichende Ansätze (und auch Ansicht­en) kom­plett ablehnen. Getreu dem Mot­to: Entwed­er seid ihr für uns und unsere Meth­o­d­en, oder ihr seid der Feind.

Ähn­lich­es war z.B. bei der Diskus­sion von Hog­warts Lega­cy der Fall. Dort haben einige Aktivistin­nen und Aktivis­ten, jedem der sich nicht am dem Boykott beteiligt hat­te, vorg­wor­fen trans­feindlich zu sein. Vol­lkom­men ungeachtet dessen, wer die Käuferin­nen und Käufer sind und wie deren Ein­stel­lung zu Transper­so­n­en über­haupt ist. Der logis­che Schluss ist: Wer durch seinen Kon­sum min­destens mit­tel­bar Per­so­n­en (oder Unternehmen) unter­stützt, die unethis­che Ansicht­en besitzen, dann müssen die Kauferin­nen und Käufer ganz offen­sichtlich eben­falls diese Ansicht­en besitzen. Denn wer ander­er Ansicht ist, der würde ja von einem Kauf absehen.

Human Rights

Diese Ansicht kann man zwar vertreten, sie ist mein­er Mei­n­ung nach aber vol­lkom­men realitätsfern:

  1. Ist wie bere­its oben geschrieben die Wahrnehmung, was unethisch ist und was nicht hochgr­a­dig sub­jek­tiv. (Wo begin­nt Transfeindlichkeit?)
  2. Heißt ein Prob­lem­be­wusst­sein zu haben, nicht automa­tisch auch, dass darauf immer gle­ichen Kon­se­quen­zen fol­gen. (Welche Gegen­maß­nah­men sind angemessen?)
  3. Habe ich wed­er an mich noch an alle anderen die Erwartung, dass jed­er sich zu jed­er Zeit bei allen Entschei­dun­gen 100% ethisch verhält.

Viele Aktivistin­nen und Aktivis­ten in den Sozialen Medi­en sehen das natür­lich vol­lkom­men anders. Haben ihre eige­nen Erwartun­gen aber offen­sichtlich nicht ganz zu Ende gedacht.

Wenn man den eigenen Erwartungen nicht entspricht

Beson­ders deut­lich wird dies, wenn man sich die Kom­mu­nika­tion auf Twit­ter anschaut. So finde ich es immer wieder inter­es­sant, wenn Leute auf Twit­ter anderen vor­w­er­fen, doch bitte nur ethisch abso­lut ein­wand­freie Unternehmen zu unter­stützen. Da komme ich dann immer etwas ins Grübeln:

Wenn mir z.B. die Transcom­mu­ni­ty so wichtig ist, dass ich nicht bere­it bin, Unternehmen zu unter­stützen, die der Transcom­mu­ni­ty zumin­d­est mit­tel­bar schaden, dann wäre die erste Amt­shand­lung nicht gewe­sen, zum Boykott des Videospiels aufzu­rufen, son­dern seinen Account bei Twit­ter zu löschen. Denn immer­hin ist Twit­ter seid Jahren ein Pfuhl an trans- und men­schen­ver­ach­t­en­den Mei­n­un­gen, die der Konz­ern aber als freie Mei­n­ungsäußerung auf sein­er Plat­tform ges­tat­tet. Es ist also wider­sprüch­lich von anderen zu erwarten, dass sie Hog­warts Lega­cy nicht unter­stützen, um damit J.K. Rowl­ing nicht zu finanzieren, während man aber selb­st die Plat­tform finanziert, die J.K. Rowl­ing über­haupt erst ermöglicht ihre trans­feindlichen Mei­n­un­gen vor Mil­lio­nen von Men­schen kundzutun.

Aber offen­sichtlich gel­ten die eige­nen Regeln nur für andere und nicht für einen selbst.

Fazit

Der Beitrag soll nicht so ver­standen wer­den, dass ich Aktivis­mus ablehne und soll erst recht keine Abw­er­tung von Leuten sein, die sich für andere Men­schen ein­set­zen. Aber solange wir uns nicht im Bere­ich der Straftat­en befind­en, sollte man immer berück­sichti­gen, dass andere Leute auch dur­chaus andere Ansicht­en haben dür­fen. Die Sen­si­bil­isierung der Gesellschaft für die Prob­leme ist unge­heuer wichtig. Erst Recht dann, wenn ein Großteil der Gesellschaft diese Prob­leme bish­er noch nicht im Blick hat. Aber zum Kampf gegen alles und jeden aufrufen, der nicht bere­it ist, sofort Fack­eln schwin­gend durch die Straßen zu ziehen, empfinde ich als unglaublich nervtö­tend. Deswe­gen bleibe ich bei der Devise: “Aufk­lären und Bit­ten” anstatt “Fin­gerzeigen und Anbrüllen”. Ich set­ze mich lieber für etwas ein als gegen etwas.